Shinrin Yoku: Ist Waldbaden esoterischer Quatsch oder wirksame Naturtherapie?

Waldbaden – ist das nicht einfach nur ein Spaziergang zwischen Bäumen, aber auf asiatisch? Oder praktizieren Menschen, die Shinrin Yoku machen, auch Feng Shui und Reki? Handelt es sich um einen Jahrtausende alten Aberglauben, an dem Leute trotz besserer wissenschaftlicher Erkenntnisse noch immer festhalten? Ich bin skeptisch und schaue mir die Sache mal genauer an.

Was ist Shinrin Yoku?

Shinrin Yoku ist japanisch und lässt sich mit Waldbaden übersetzen. Lese ich zumindest überall, ich bin des Japanischen nicht mächtig. Das japanische Ministerium für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft startete 1982 eine Kampagne zur Förderung von Waldbaden. Nix mit Jahrtausende altem Aberglauben also.

Das Ziel der Regierung: die notorisch überarbeiteten, gestressten und Burnout-gefährdeten Japaner*innen zu bewegen, mehr in den Wald zu gehen. Denn dieser gilt ja allgemeinhin als erholend und stressreduzierend und schließlich ist Japan zu zwei Drittel von Wald bedeckt (zum Vergleich: in Deutschland ist es ein Drittel).

Kann man überhaupt im Wald baden? Er ist schließlich nicht nass. Neben Wasser kann ich mir noch in Milch, Champagner und Goldmünzen (Grüße an Onkel Dagobert) baden vorstellen. Aber im Wald?

Waldbaden soll jedenfalls mehr als ein Spaziergang sein. In seinem Buch über Shinrin yoku beschreibt es Qing Li wohl als bewusstes Wahrnehmen des Waldes (ich hab’s nicht gelesen). Da kann es auch mal nötig sein, die Hände tief in den Waldboden zu versinken. Wer Shinrin yoku praktiziert, soll in die Atmosphäre des Waldes eintauchen. Bewusst atmen. Geräuschen lauschen. Auch mal den Boden oder eine Baumrinde erfühlen. Oder an Blümchen und Nadeln riechen. Empfohlen werden auch Meditationen oder Gehmeditationen und Visualisierungen. Klingt wirklich nicht nach einem normalen Spaziergang.

Wenn nicht Japaner, sondern Franken waldbaden gehen, sieht das so aus:

https://youtu.be/TJLbpXllOt8

Gibt es wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von
Shinrin yoku?

Und was soll das alles? Angeblich hat Waldbaden positive Effekte auf Körper und Geist. Es soll erholend, stressreduzierend und stimmungsaufhellend wirken. Sogar Krebs vorbeugen, sagt mir das Internet. Aber gibt es dafür denn auch wissenschaftliche Beweise?

Zumindest in Japan wird die psychologische und physiologische Wirkung von Shinrin yoku schon lange untersucht. Seit 1990 erforscht Miyazaki Yoshifumi, Professor an der Universität Chiba, die Wirksamkeit von Waldbaden. Er machte die erste Feldstudie zum Zusammenhang zwischen längeren Aufenthalten im Wald und dem Stresslevel von Menschen. Er konnte eine reduzierte Zahl von Stresshormonen nach einer Runde Waldbaden feststellen.

Diese und weitere Studien konnten die positiven Effekte schon nach einer Stunde Aufenthalt im Wald nachweisen. Qing Li, der bereits erwähnte Autor, der auch an der Nippon Medial School der Universität Tokio arbeitet, hat herausgefunden, dass Waldluft einen Einfluss auf die menschlichen Abwehrkräfte hat.

Duftstoffe im Wald sorgen für Entspannung

Im Mittelpunkt der Forschung  zum Waldbaden stehen Phytonzide. Das sind Pflanzenduftstoffe, um Insekten, Pilze oder Bakterien abzuwehren. Sie werden besonders von Nadelbäumen abgegeben. Atmet der Mensch sie sein, hat das eine Reihe von positiven Effekten:

  • ein Gefühl der Ruhe
  • Blutdrucksenkung
  • Senkung des Stresshormons Cortisol
  • verbesserte Herzfrequenzvariabilität
  • Anstieg der natürlichen Killerzellen, die Krankheitserreger bekämpfen

Aha, so so. Wie misst man so was denn? Meine Recherchen haben ergeben: mit Hilfe der Nahinfrarotspektroskopie (Messen des Gehalts von roten Blutkörperchen im Gehirn) und der Konzentration von Stresshormonen im Speichel.

Europäische Studien zu Shinrin yoku sind Mangelware

Klingt schon mal nicht schlecht, muss ich sagen. Aber während die japanischen Studien viele Belege für die Wirksamkeit von Shinrin yoku finden, sind sie international aufgrund der eingeschränkten Größe und den weniger hohen wissenschaftlichen Standards nicht unbedingt anerkannt. Eine Studie von Qing Lin zum Effekt von Waldluft auf das menschliche Immunsystem hatte etwa nur zwölf Probanden. Hmpf.

Ohnehin sollte man alles nochmal „bei uns“ untersuchen, weil in Japan andere Baumarten vorherrschend sind. Dort hat man die Wirkung in künstennahen Urwäldern mit bestimmten Zypressen, die besonders viel Phytonzide abgeben, beobachtet. Vergleichbare Wälder gibt es in Europa gar nicht. Andere Länder, andere Wälder halt.

Shinrin yoku wird inzwischen aber auch weltweit erforscht.  Man badet nun nämlich auch außerhalb Japans im Wald. Um 2017 rum schwappte der Trend auch in deutsche Forste. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und der Technischen Universität München befasst man sich mittlerweile auch wissenschaftlich damit. Aber weit fortgeschritten sind die universitären Studien noch nicht. Sie werden in kleinem Rahmen veranstaltet, um herauszufinden, wie sich der Aufenthalt im Wald auf chronische Schmerzen und ernsthafte Krankheiten auswirkt.

Hilft nicht einfach nur ein Spaziergang im Wald?

Dass ein Spaziergang im Wald erholsam sein kann, sollte jede*r wissen, der schon mal aus der Stadt in den Wald geflohen ist. Es ist ruhiger dort. Die Luft ist besser, weil Bäume sie reinigen. Es ist angenehm kühl. Man sieht Rehlein und Hasis.  

Außerdem gilt Grün als nervenberuhigend und stimulierend für das Immunsystem. Das haben schon Studien in den 1980er-Jahren gezeigt. Überhaupt gibt es allerlei Studien zur gesundheitlichen Wirkung von Bäumen:

  • In Waldgebieten lebende Menschen sterben beispielsweise signifikant seltener an Krebs als solche in nicht bewaldeten Gebieten, können offizielle Daten belegen.
  • An der Universität Chicago kamen Umweltpsychologen 2015 zu dem Ergebnis, dass das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes oder andere Zivilisationskrankheiten höher ist, je weniger Bäume eine Wohngegend hat.
  • Belastbare Belege gibt es auch zur Stressreduktion und der positiven Auswirkung des Waldes auf den Schlaf.
  • An der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg wurde beispielsweise herausgefunden, dass Menschen mehr davon haben, im Wald zu wandern, als die gleiche Zeit auf dem Laufband zu verbringen.

Fazit: Auf jeden Fall ab in den Wald!

Ob Waldbaden wirklich den Effekt hat, der in alternativmedizinischen und esoterischen Kreisen gerne behauptet wird, ist noch nicht ausreichend belegt. Und ob man barfuss durch den Wald und auf Tuchfühlung mit seinen krabbelnden Bewohnern gehen möchte, ist Geschmackssache.

Ein Waldbad schadet aber auf keinen Fall. Denn es ist unumstritten, dass der Aufenthalt im Wald viele gesundheitliche Vorteile hat.

Also ab in den nächsten Forst! Am besten mit TPP!

Foto von Michal Vrba auf Unsplash

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