Physical Distancing: Mein Freund, der Wald

Kollektives Daheimbleiben statt gemeinsam am See oder im Café abhängen: Die Corona-Pandemie zwingt uns, von Freunden, Großeltern und Kollegen bis auf Weiteres auf Abstand zu gehen. Die räumliche Distanz zu unseren Mitmenschen kann zur psychischen Belastung werden. Einen Ausweg in Zeiten der Krise bietet die Natur. Ein Plädoyer für den Waldspaziergang.

Punkt acht Uhr, für einen kurzen Moment durchtrennen Klatschgeräusche und Jubellaute die Stille auf den Straßen. Menschen sind an die Fenster und auf die Balkone ihrer Wohnungen gekommen, um gemeinsam ein Zeichen der Solidarität auszusenden. Sie gilt dem Medizin- und Pflegepersonal, das in diesen Tagen die allgegenwärtige Furcht und Last, aber auch den Mut und die Zuversicht einer ganzen Nation schultert. Seitdem das Corona-Virus das öffentliche Leben weitestgehend eingefroren hat, zeigt ein bemerkenswerter Teil der Gesellschaft Anerkennung für jene, die die sogenannten systemrelevanten Bereiche am Laufen halten.

Das Leben hat sich gewandelt

Die soziale Zwangspause, so lässt es sich vielerorts beobachten, sorgt für ein Rückbesinnen auf das Wesentliche, auf jene Tugenden, die in unserer hektischen, häufig egozentrisch gepolten Welt allzu oft auf der Strecke bleiben. Plötzlich wimmelt es von Hilfsangeboten für betagte Nachbarn, melden sich freiwillig Helfer zur Spargelernte, nähen „ganz normale Menschen“ im Akkord Schutzmasken für Krankenhäuser und Arztpraxen. Bei aller Entbehrung und Ernsthaftigkeit, die diese Krise mit sich bringt, so zeigt sich in ihr doch auch: Die Gesellschaft rückt enger zusammen.

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Auch das diesjährige Osterfest im Kreise der Familie fällt vielerorts dem Virus zum Opfer. Foto: NickyPe/pixabay.

Wenngleich vorerst nur auf platonischer Ebene. Denn der persönliche Kontakt von Angesicht zu Angesicht ist derzeit nur noch in Ausnahmefällen angezeigt – mit Folgen für die Art zu leben, wie wir es kennen. Die nächste Grillparty mit den Nachbarn muss warten, ein Kinobesuch mit den Kindern ist gerade nicht möglich, die lang ersehnte Reise nach Südtirol: abgesagt. Um die rasante Verbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 einzudämmen, müssen gewöhnliche soziale Aktivitäten vorübergehend pausieren.

Getrennt wider Willen

Für manche beginnt genau jetzt die Erholung. Für jene jedenfalls, die im Meer ihrer sozialen Verflechtungen und Verpflichtungen zu ertrinken drohen. Für die ohnehin ausgelaugten Auf-allen-Hochzeiten-Tanzenden, und unverbesserliche Workaholics. Und auch für die eher ruhigen Zeitgenossen unter uns. Sie alle mögen in der gegenwärtigen Gemengelage ihr Seelenheil finden. Viele andere erleben mit dem Einzug des Virus in die eigene Lebensrealität das Gegenteil. Für sie bedeutet Physical Distancing schmerzhafte persönliche Einschnitte. Und je länger die politischen Entscheidungsträger das Gebot der Distanzierung für erforderlich halten, desto belastender wird die Situation werden.

Letzteres liegt in der Natur des Menschseins begründet. Wie die meisten Säugetiere ist der Homo sapiens sapiens ein soziales Wesen, das die Gemeinschaft mit seinen Artgenossen der Abschottung vorzieht. In früheren Epochen sicherte soziales Verhalten das Überleben. Zwar sind heutzutage viele von uns auch allein überlebensfähig; Kontaktsperren zu unseren Mitmenschen widersprechen jedoch unserem Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit. In einer sowieso schon unberechenbaren Zeit, in der alte Gewissheiten fundamental erschüttert werden, potenzieren sie das Gefühl der Verunsicherung.

Diagnose: Einsamkeit

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Alleinsein in Zeiten der Krise ist für manch einen eine Herausforderung. Foto: S. Hermann, F. Richter/pixabay

Geborgenheit und Mut finden wir in diesen Tagen bei Eltern oder der besten Freundin höchstens virtuell. Doch kein Videotelefonat und auch kein Emoji im WhatsApp-Chat vermögen das entstandene Vakuum an körperlicher Nähe adäquat zu kompensieren. Was fehlt, sind die wahrhaftigen Berührungen und Umarmungen unserer Liebsten. Hier stoßen technische Ersatzlösungen schnell an ihre Grenzen.

Insbesondere für Alleinstehende und psychisch labile Personen kann die Isolation vom vertrauten Umfeld zum Problem werden. Sie fühlen sich emotional überfordert, entwickeln womöglich Anzeichen einer Depression. Das, was in einer solchen Situation dann empfehlenswert wäre – rauskommen, sich ablenken, mit Freunden treffen – ist zu allem Überfluss nur eingeschränkt möglich. Was also können wir tun, damit uns die Decke in der häuslichen Quarantäne vor lauter Einsamkeit und täglich neuer Schreckensmeldungen nicht „auf den Kopf fällt“?

Abschalten zwischen Fichten und Farnen

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Ein Spaziergang durch die „grüne Lunge“ bringt frischen Wind in den stickigen Alltag. Foto: pixabay

Die simple Antwort lautet: spazieren gehen. Und zwar im Wald. Zwischen Fichten und Farnen haucht uns Waldluft frische Gedanken ein, das Karussell der negativen Gefühle kommt für eine Zeit lang zum Stillstand. „Schon eine halbe Stunde vom Schreibtisch weg zu sein und sich die Füße zu vertreten, kann sehr befreiend wirken und hat seinen Wert für Körper und Geist“, sagte Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar 2019 der Süddeutschen Zeitung im Interview.

Der Waldbesuch als gesundheitsfördernde Alternative zu #stayhome? Was im ersten Moment ein wenig nach Homöopathie klingen mag, ist längst wissenschaftlich belegt: Das Ökosystem Wald wirkt auf uns wie ein natürliches Antidepressivum, es lindert Stress und beruhigt uns bei Angst und Anspannung. Kombiniert mit den positiven Effekten von Bewegung, fördert der Waldspaziergang damit nicht nur das Wohlbefinden, sondern stärkt auch das Immunsystem. (Auf einen interessanten Artikel mit weiterführenden Informationen zum Thema Waldbaden hat uns Nadine von Primal State hingewiesen. Danke dafür!)

Wald: Zufluchtsort mit Zukunft?

So wird schon ein kurzer Ausflug ins nächstgelegene Waldstück zur persönlichen Achtsamkeitsreise. Wer dem Ruf des Waldes folgt und sich der Natur bewusst hingibt, der erlebt eine multisensorische Erfahrung. Vom Hämmern der Spechte, über das Rauschen des Bachlaufs, hin zum Geruch von feuchtem Moos unter den eigenen Sohlen. Auf den Wald als „Balsam für die Seele“ können wir uns verlassen wie auf einen guten Freund.

Und wenn wir dann wohlgestimmt in unsere vier Wände zurückspaziert sind, stellt sich – und welch Freude wäre das – vielleicht klammheimlich ein weiterer Effekt ein: Wenn uns das alles vor Augen führen würde, was wir eigentlich am Wald haben. Nicht nur aus ökologischer, auch aus individueller Sicht. Vielleicht gelangen wir auf diesem Wege sogar zu der Überzeugung, dass wir uns noch mehr als bisher für den Erhalt dieses einzigartigen Ökosystems einsetzen sollten. Und so liegt in der Krise vielleicht ja doch auch eine Chance.

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